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Hilde Domin

Köln, eine Aufregung

von RAINER HARTMANN
Kölner Stadtanzeiger vom 03.12.03
www.ksta.de

Die bedeutende Lyrikerin erinnert sich gerne an die 'versunkene Stadt', die Heimat ihrer Kindheit.
Ihr berühmtestes Gedicht heißt 'Nur eine Rose als Stütze'. Die Rose, Symbol des Lebens und der Schönheit, ist der einzige Halt, den ihre Hand findet. So sagen es die letzten Zeilen, Ausdruck der allzeit unsicheren Existenz. Hilde Domin, die 1909 in Köln geborene Dichterin, die heute Abend auf Einladung des Literaturhauses in ihrer Heimatstadt liest, ist die Meisterin schwebender Verse, in denen sie Erfahrung aufs knappste kondensiert. Wie höchstpersönlich dies sein kann, zeigt ihr Gedicht 'Linke Kopfhälfte', das so beginnt: 'In dieser kleinen Halbkugel / auf der mein Haar grau wird / wohnen die Wörter / dies Wörternest ...' Ihre wahre Heimat, verrät sich darin, ist die Sprache. 'Hand in Hand mit der Sprache / bis zuletzt', heißt es unter der Überschrift 'Älter werden'.
Und doch verbindet Hilde Domin mit Köln, das sie 1932 auf dem Weg ins Exil verließ, ein Heimatgefühl. 'Köln ist mir eine Aufregung', sagte sie bei ihrem vorigen Auftritt hier vor gut dreizehn Monaten. Jetzt, im Gespräch, erzählt sie, wie gerne sie nach der Rückkehr aus Lateinamerika 1954 in Köln geblieben wäre. Aber: 'Es war keine Frage, ob ich hier wohnen wollte.' Ihr Mann, der Archäologe Erwin Walter Palm, der wie sie in Heidelberg studiert und gearbeitet hatte, konnte Verbindungen zu alten Lehrern wieder aufnehmen und ist dort später Professor geworden. 'Es hat sich so ergeben', sagt Hilde Domin. Allerdings besuchte sie nach 22 Jahren sogleich wieder Köln und das Haus Riehler Straße 23. 'Ich habe da eine sehr glückliche Kindheit gehabt.' Ihr Gedicht 'Köln' aus den 60er Jahren beginnt so: 'Die versunkene Stadt / für mich / allein / versunken.' Verlust zeigt sich darin, vielleicht auch der nicht mehr umkehrbare Abschied vom Dasein als Kind.
Hilde Domin muss früh politisch wach gewesen sein. Sie erkannte die Nazis rasch als tödliche Bedrohung: 'Ich bin weggegangen, weil ich alles kommen sah.' Dass Erwin Walter Palm der Wissenschaft wegen nach Italien wollte, bestimmte die Richtung der Ausreise mit. Er studierte das alte Rom, sie wurde in Florenz zum Doktor der Staatswissenschaft promoviert. Aber 1940 war auch Italien nicht mehr sicher. Flucht nach England, dann in die Dominikanische Republik.
Hilde Domin zu begegnen, das heißt auch, das Werden einer Lyrikerin zu beobachten. Ihr Gedicht 'Exil' hat sie ihrem Vater gewidmet. Es ist wieder eine Beschwörung der Sprache: 'Der sterbende Mund / müht sich / um das richtig gesprochene / Wort / einer fremden / Sprache.' Ihre Eltern hatten Deutschland Ende 1933 verlassen, lebten später in den USA. Hilde Domin arbeitete in Santo Domingo vor allem als Assistentin ihres Mannes, der dort die spanische Kolonialarchitektur als Objekt der Wissenschaft entdeckte. Sie fotografierte die alten Bauten, vor allem aber lernte sie, das Spanische so zu beherrschen, dass sie Palms Veröffentlichungen druckreif machen konnte. Spätestens jetzt wurde Sprache zu einem zentralen Thema ihres Lebens.
Sprache ist dann für Hilde Domin zu einer Rettung geworden. Als 1951 plötzlich ihre Mutter starb, die sie in der Schweiz wiederzusehen hoffte, begann sie Gedichte zu schreiben. 'Wenn man ganz am Rande des Lebens steht', sagt sie heute, 'dann betet man oder man geht zum Psychiater, oder wenn man die Gnade hat - ich benutze ausdrücklich das Wort Gnade -, wird man kreativ.
Wer weiß, ob es ohne den Schock die Dichterin Hilde Domin gäbe.
Hilde Domin und ihr 1988 verstorbener Mann haben es fertig gebracht, das Exil nicht als Demütigung zu erleben. 'Wir haben uns nach Möglichkeit als Subjekt und nicht als Objekt betrachtet und versucht, in den Exilen ein Lernangebot zu sehen.' Es sei auch nicht so sehr die Erfahrung des Exils, die sich in ihren Gedichten ausdrücke, sondern ein Lebensgefühl. Interpreten müssen also vorsichtig sein, wenn sie etwa lesen 'Was für ein Zeichen / mache ich über die Tür / um bleiben zu dürfen?' oder 'Wir sind so flüchtig / vor jedem Wind / Das Schneckenhaus bleibt ...' Von André Gide stammt das schöne Wort 'Verstehen Sie mich bitte nicht zu schnell'. Es hat auch hier seine Gültigkeit.
Hilde Domin heute, 20 Uhr, in der Kulturkirche Köln, Siebachstr. 85.

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